Für mich gibt es nur ein Reisen auf Wegen, die Herz haben, auf jedem Weg reise ich, der vielleicht ein Weg ist, der Herz hat. Dort reise ich, und die einzige lohnende Herausforderung ist, seine ganze Länge zu gehen. Und dort reise ich und sehe und s e h e atemlos.

Carlos Castaneda I 151

Zusammengefasst: Was ist Nagualismus?

Der Ursprung

Der Nagualismus ist vor langer Zeit aus einer schamanischen Tradition in Mittelamerika entstanden.
Wann dieses Wissen auftauchte weiß niemand ganz genau. Es wird aber angenommen, dass es zur Zeit der Hochkultur der Tolteken(10. bis 12. Jahrhundert unserer Zeit) in dieser oder ähnlicher Form entstand.

Ein Großteil des öffentlich zugänglichen spirituellen Wissens der Tolteken stammt von Carlos Castaneda, der ab 1968 eine Reihe von insgesamt 12 Büchern veröffentlichte. Er war es auch, der in seinen Büchern diesen schamanischen Weg als Nagualismus bezeichnete. Darüber hinaus gibt es eine große Anzahl von Sekundarliteratur mit ergänzenden aber auch teils widersprüchlichen Aussagen.

Castaneda berichtet im autobiographischen Stil über die Treffen mit dem Yaqui- Indianer Don Juan Matus der ihm sein Wissen lehrte. Ob Don Juan wirklich existierte oder nur eine fiktive Romanfigur darstellt, ist umstritten. Auch ob Castanedas Erfahrungen auf konkrete Erlebnisse beruhen oder er alles selbst literarisch konstruierte.
Trotzdem sind viele Elemente in den Büchern enthalten, die sehr authentisch sind, einer übergeordneten Logik folgen und es wertvoll erscheinen lassen, sich mit dem Wissen der Tolteken, dem Nagualismus zu beschäftigen.
Nachfolgend werden einige relevante Aspekte dieses Wissen kurz umrissen.

Der Nagualismus ist keine neue Heilslehre, sondern eine den Stoikern ähnlichen Weltanschauung mit transzendenten Hintergrund. Er bietet individuelle Wege, entsprechend der Prägung jedes Einzelnen, sich auf den Weg zu machen, Erkenntnisse zu sammeln und sie pragmatisch im täglichen Leben anzuwenden. Er betrachtet sowohl den spirituellen, als auch den materiellen Aspekt jedes Daseins als entwicklungsbedingt miteinander verbunden, verspricht keine Belohnung und droht nicht mit Strafe.

Nach toltekischer Anschauung besteht alles aus Kraft(Energie) und Wissen (Informationen). Zusammen entwickelt sich durch diese beiden Faktoren und durch die individuellen Handlungsweisen, Bewußtsein und im besten Fall Bewußtheit.

Tonal und Nagual

Laut der Tolteken lernt jeder einzelne in Gemeinschaft mit den anderen Individuen vom Moment der Geburt an, wie die Welt funktioniert und wie sie beschaffen ist. Sie bezeichnen diese geschaffene Welt als Tonal (erste Ring der Kraft, die Welt des Verstandes, die erste Aufmerksamkeit, das Bekannte, die alltägliche Welt).
Der Ursprung unseres Daseins gründet sich aber aus dem Nagual( dem zweiten Ring der Kraft, der zweiten Aufmerksamkeit, des Unbekannten, Unerkennbaren, der nicht alltäglichen Welt).
Diese zwei Kraftringe versucht der Praktiker, der toltekische Krieger durch verschiedene Techniken zu aktivieren und anzuwenden. Dabei handelt er makellos.

Der Weg der Tolteken. Das Leben eines Kriegers.

Praktizierende des Nagualismus, bezeichnen sich als Jäger von Kraft und Wissen, oder auch als Krieger. Im weiteren Prozess des Wachstums wird über die Stufe des Sehens (Seher) die Welt der sogenannten Zauberei(Zauberer) erreicht. Sie alle sind Tolteken (dem Weg des Wissens folgend).

Der Begriff Krieger ist für viele Irreführend, doch gerade die Einstellung eines Kriegers ist der Schlüssel für ein Wachstum, das jenseits der normalen Erfahrungen liegt. Denn ein Krieger macht sich auf den Weg zum Wissen, wie er sich zum Krieg aufmacht, hellwach, voller Furcht und Achtung und absoluter Zuversicht.

Ein Krieger handelt so, als sei nichts wichtig, weil er an gar nichts glaubt, und doch akzeptiert er alles unbesehen. Er akzeptiert, ohne zu akzeptieren, und leugnet ohne zu leugnen. Nie tut er so, als wisse er, noch tut er so, als sei nichts geschehen. Er handelt so, als ob er die Situation in der Hand hätte, auch wenn ihm vielleicht die Hosen schlottern.

Makellosigkeit

Makellos zu handeln bedeutet für den Krieger, Wissen und Energie für die anstehenden Aufgaben zu sammeln und anzuwenden, ohne sie für Leidenschaften und Torheiten zu verschwenden. Immer sein Bestes zu geben, entsprechend des eigenen Energie- und Wissenstandes. Verantwortung für alle Konsequenzen des eigenen Handelns zu übernehmen niemals aufzugeben, bei Erfolgen, als auch bei Rückschlägen.

Pirschen und Träumen

Das Pirschen, Träumen und das nutzen der Absicht(Schicksalsmacht) sind die drei Techniken die es dem Kriegern ermöglichen, Energie und Wissen zu sammeln und die beiden vorgenannten Kraftringe zu aktivieren.
Das Pirschen wird in der Alltagswelt, in der Welt der Dinge, des Verstandes, der ersten Aufmerksamkeit praktiziert, während das Träumen das Abstrakte, Unbewußte, die sogenannte zweite Aufmerksamkeit als Wirkebene hat. Diese Techniken werden von den Kriegern entsprechend der eigenen energetischen Struktur angewandt, wobei extrovertierte Menschen es eher im Pirschen, und introvertierte es im Träumen zur Meisterschaft bringen. Beide Systeme, das Pirschen und das Träumen nutzen und steuern durch den Willen, die ursächliche Schicksalsmacht, die Absicht(Verbindung zum Nagual).

Die Absicht

Die Absicht ist die kreative Kraft die aufgrund der Handlungen aller Existenzen, das entsprechende „Schicksal“ formt. Jeden Schritt den wir machen, bestimmt laut der toltekischen Lehre die Absicht und wir bestimmen durch unser Verhalten wie sich die Absicht auf uns auswirkt. Die direkte Verbindung zur Absicht ist der Wille, die zentrale Steuereinheit des zweiten Ringes der Kraft. (Im Gegensatz zum Verstand, die Steuereinheit des ersten Ringes der Kraft).

Über den Willen können die Krieger durch die Absicht eine direkte Verbindung zum Unbekannten, dem Nagual herstellen. Dies ermöglicht es dem Krieger andere Wirklichkeiten zu erfahren und diese zu nutzen.
Der Krieger nutzt die Techniken des Pirschens, Träumens und Erkennen von Zeichen(Omen), um diese Verbindung wieder voll für sich zu nutzen. Dieser Prozess wird auch als die Läuterung des Bindeglieds zur Absicht beschrieben.

Die Regel des Nagual

Die Tolteken beschreiben eine ursprüngliche Macht, die sie mythologisch als den Adler bezeichnen. Diese Kraft gebiert aus den vergangenen, aufgelösten Bewußtseinen neue Individuen, entsprechend ihrer erworbenen energetischen Konstitution. Ziel eines Kriegers ist es diesen Kreislauf durch verschiedenste Maßnahmen zu entgehen und seine Bewußtheit zu behalten, beziehungswiese am Feuer von innen zu verbrennen (alle Emanationen des Adlers sind augenblicklich erfahr- und nutzbar).

Energiekörper und Wahrnehmung (Der Montagepunkt)

Für den Krieger ist die Welt bei weiten nicht so fest, wie sie dem Durchschnittsmenschen erscheinen mag. Für den Krieger hängt jegliche Dasein also nicht nur an der äußeren Erscheinung, sondern für ihn steht hinter allem das spirituelle Sein, welche diese Zustände formt. Wenn er Sehen kann, erscheint im der materille Körper als Energiefeld, als leuchtendes Ei welches einen Punkt besitzt, der intensiver „leuchtet“ als das Umfeld.
Dieser Punkt wird als der Punkt an dem unsere Welt zusammengesetzt, beziehungsweise montiert wird bezeichnet. Dieser sogenannte Montagepunkt der mehr oder weniger beweglich ist, bestimmt unser Weltbild und unsere Wahrnehmung. Der Krieger nutz auch in diesem Fall , verschiedenste Techniken, um diesen Montagepunkt zu bewegen und sich dadurch andere Wahrnehmungen und mithin andere Welten zugänglich zu machen.

Die Rekapitulation des Lebens

Das Ziel der Tolteken ist sich zu vervollständigen und mit der Ganzheit ihres Selbst in ihrer vollen Bewußtheit zu der Kraft zurückzukehren aus der sie ursprünglich stammen. Dafür müssen sie alle Erlebnisse ihres Lebens noch einmal in voller Aufmerksamkeit und Härte durchleben, um so eine Kopie ihres Bewusstseins anzufertigen, daß sie dann der schöpfenden Macht zur Verfügung stellen. Anders gesagt, werden die durch das Leben geschaffenen und noch vorhandenen Ecken und Kanten durch die Rekapitulation vollends beschliffen, um glatt durch den Tunnel des Lichts gehen zu können, ohne an irgendeiner Stelle festzuhaken und vielleicht in einer neuen vielleicht nicht so erfreulichen Existenz, neu Geburt nehmen zu müssen.

Der Tod als Lehrer
Der Tod lehrt den Krieger im hier und jetzt zu leben. Alles was wir meinen, zu sein, geschaffen zu haben und zu besitzen hat im Angesicht des Todes keine Bedeutung mehr. Aller Selbstzweifel, alle Selbstüberschätzung, Unzulänglichkeit, Überheblichkeit, eigene Wichtigkeit verschwindet, wenn dem Krieger der Tod gegenübersteht und sein Leben fordert. Das Leben ist der kleine Umweg den der Krieger macht, um von der Endlichkeit wieder zurück in die Unsagbarkeit zu schreiten. Das Leben ist nur ein Abschnitt der Unendlichkeit die uns als Endlichkeit erscheint. Wenn wir dieses Leben nutzen, um entsprechendes Wissen zu erlangen, können wir tatsächliche Freiheit erreichen.